BOS-Funk

News aus dem Bereich Kommunikation und Funktechnik

Verzögert, verteuert, verhasst – der Digitalfunk für Polizei- und Rettungsdienste hatte einen schweren Start.

Jahre später als geplant geht er nun endlich in Betrieb. Doch die Probleme hören damit nicht auf.

 

Im März 2009 rückte das Hamburger Landeskriminalamt aus, um die Staatsgewalt vor "Micky Maus" zu schützen. Mit einem

kleinen Radio aus chinesischer Fertigung, einer Heftbeigabe des Comic-Magazins, konnten einige Kinder den Polizeifunk

abhören. Darauf stehen in Deutschland bis zu zwei Jahre Gefängnis – was aber offenbar wenig abschreckt: Ausgerüstet

mit solchen illegalen Grenzwellenempfängern, sind Fernsehteams manchmal schneller am Einsatzort als die Beamten.

 

Ähnlich einfach lässt sich der analoge Behördenfunk auch stören. Schlagzeilen machte das zuletzt im September 2011,

als das Digitalradio DAB+ auf Sendung ging und nordrhein-westfälische Streifenwagen plötzlich keine Funkverbindung

mehr hatten. Als Folge musste der digitale Hörfunk während Großveranstaltungen abgeschaltet werden. Schließlich zog

ein DAB-Kanal dauerhaft auf eine andere Frequenz um.

 

Eigentlich sollten solche Spukgeschichten längst vergessen sein. Bereits 1990 hatten sich die EU-Staaten darauf ver-

ständigt, "Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben" (BOS) mit einem digitalen Funksystem auszustatten.

Neben der Polizei sind das zum Beispiel Feuerwehren, Rettungsdienste und Katastrophenschutzeinrichtungen.

 

Wie beim Mobiltelefonieren wird beim Digitalfunk Sprache in Datenpakete zerlegt und über ein Internet-ähnliches Netz

übertragen. Das bietet zahlreiche Vorteile: Dank Verschlüsselung gelten die Gespräche als abhörsicher. Über individuelle Kennungen kann die Leitstelle gestohlene Geräte sperren. Digitale Fehlerkorrektur und Filter sorgen für exzellente

Sprachqualität. Behördenüber-greifende Kontakte vereinfacht der Digitalfunk ebenso wie Gespräche zwischen weit

auseinander liegenden Standorten, sogar von Flensburg nach Passau. Und es wird nicht mehr jeder Funkspruch auf

einem Kanal von allen anderen Stationen mitgehört, sondern nur noch vom direkten Gesprächspartner oder einer

definierten Gruppe.

 

Die meisten EU-Länder haben ihre Digitalfunk-Pläne inzwischen auch umgesetzt; so sind europaweit derzeit 19 Netze

m Betrieb oder im Aufbau, fünf weitere geplant. Mit rund 560000 Teilnehmern wird das deutsche BOS-Digitalnetz einmal

das größte der Welt sein. Doch seine Einführung begleitete eine nicht abreißende Kette von Pannen und Verzögerungen:

Grünes Licht gab es bereits Ende der neunziger Jahre, aber noch 2004 wurde munter um Technologiestandards und um

die föderale Aufgaben- und Kostenverteilung gerungen: So ist der Bund für Technisches Hilfswerk, Zoll und Teile der

Polizei zuständig; die Länder für ihre Polizeibehörden und die Kommunen für Feuerwehr, Rettungsdienste und

Ordnungsämter.

 

Anfang 2005 wollte der damalige Innenminister Otto Schily den Netzbetrieb ohne zeitraubende Ausschreibung an die Bahn-

Tochter DB Telematik vergeben, um das System noch pünktlich zur Fußball-WM 2006 zum Laufen zu kriegen. Doch das

deutsche Sommermärchen hatte längst ohne Digitalfunk stattgefunden, als Bahn-Chef Hartmut Mehdorn sich im Dezember

2006 wegen weit divergierender Kostenschätzungen endgültig mit den Innenstaatssekretären zerstritt.

 

Erst 2010 war ein anderer Betreiber gefunden: die Alcatel-Lucent Deutschland AG. Den Zuschlag für die Systemtechnik

bekam im August 2006 der Luft- und Raumfahrtkonzern EADS. Dessen sogenannte Tetra-Plattform basiert auf der Bündelfunktechnik. Sie weist Benutzergruppen keine festen Frequenzen zu, sondern teilt das knappe Spektrum je nach

Bedarf unter ihnen auf.

 

Zur Koordinierung gründete der Bund im April 2007 die "Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen

mit Sicherheitsaufgaben" (BDBOS) mit Sitz in Berlin, die inzwischen rund 180 Mitarbeiter hat. Als neuer Starttermin wurde

nun 2010 anvisiert, doch auch der konnte nicht gehalten werden – und der Kostenrahmen schon gar nicht. Es stellte sich

nämlich heraus, dass wegen zahlreicher Funklöcher 4500 statt der geplanten 3500 Basisstationen installiert werden müssen. Aktuell werden Kosten von rund 3,6 Milliarden Euro für den Bund und eine beinahe ebenso hohe Summe für Länder und

Kommunen kolportiert – etwa ein Drittel mehr als geplant.

 

Immerhin nimmt das digitale Funknetz nun langsam Formen an: Monatlich kommen 80 bis 100 neue Basisstationen hinzu.

Fertig ist das Netz nun nach Einschätzung der BDBOS Mitte 2012. Schon heute nutzen ausgewählte Standorte den

Digitalfunk routinemäßig. Im August 2011 etwa wurden 1,5 Millionen Rufe registriert. Länder und Kommunen schreiben

europaweit Bestellungen für Zehntausende von Endgeräten aus. Ist die schwere Geburt damit nun endlich überstanden?

 

Nicht ganz. Insbesondere in Bayern mit rund 980 geplanten Basisstationen kämpfen Bürgerinitiativen derzeit gegen fast

jeden der 60 Meter hohen Antennenmasten. Dafür fallen zwar 3500 Antennen des Analognetzes weg, doch die Wutbürger

sehen sich durch die digitalen Signale stärker gefährdet. Wissenschaftliche Belege gibt es dafür, trotz zahlreicher Studien,

nicht.

 

Noch gravierender ist jedoch ein anderes Problem: Für viele Einsatzzwecke muss der Digitalfunk auch in geschlossenen

Gebäuden funktionieren – etwa um die Vitaldaten von Feuerwehrleuten zur Einsatzleitung zu übertragen. Gerade innerhalb

von Räumen ist das BOS-Netz bis auf Weiteres aber nur bedingt einsatzbereit, weil die Basisstationen nicht zu erreichen

sind. Anders als Handys können die Funkgeräte zwar auch direkt miteinander kommunizieren. Doch die Reichweite

verringert sich dabei auf einige Hundert Meter, unter ungünstigen Umständen noch weniger. Damit entfallen viele Vorteile

des Digitalnetzes ausgerechnet im Ernstfall.

 

Also müssen rund 4000 Bauwerke mit so genannten Repeatern nachgerüstet werden, welche die Signale der Funkgeräte

bis zur nächsten Basisstation weiterleiten. Frequenzen sind abzustimmen, Funktions- und Störsicherheit zu testen. Bisher

gibt es lediglich Pilotprojekte, darunter im Berliner Reichstag und im Olympiastadion sowie in einigen Hotels, Einkaufszentren

und Tunneln. "Diese Lücke ist ein eklatanter Mehrkostentreiber", sagt Michael Mücke von der Managementberatung Mücke,

Sturm & Company, die ein Strategiepapier zur "Herausforderung Objektversorgung" erarbeitete. Insidern war das Problem allerdings schon während der Ausschreibung des Netzes bekannt.

 

Für kleinere Gebäude wie Bürobauten oder Hotels rechnet Friedrich Schwefel, Vertriebsleiter beim Ausrüster Axell Wireless,

dabei mit Kosten von circa 60000 Euro. Die Versorgung eines Einkaufszentrums schätzt er auf 180000 Euro. Das Pikante

daran: Die Kosten für Installation und Betrieb der Repeater haben die Betreiber der Immobilien zu tragen. Ist alles eingerichtet,

geht das Nutzungsrecht an der nachgerüsteten Technik aber exklusiv auf die Feuerwehr über. Die Netzbetreiber werden

nun Probleme haben, die Hausherren von der Notwendigkeit dieser "Objektversorgung" zu überzeugen. Gesetzlich vorge-schrieben ist sie nämlich nicht. Dadurch könnte sich die endgültige Fertigstellung des BOS-Netzes noch bis 2015, nach

Meinung einiger Experten sogar noch weitaus länger verzögern.

 

* Quelle: Technologie Review 02/2012